Die Klinkerwerke Kurzenmoor

Die Klinkerwerke Kurzenmoor
Die Klinerwerke Kurzenmoor

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Die Klinkerwerke Kurzenmoor

 

Die Errichtung von Ziegeleien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts muss in Zusammenhang mit der Industrialisierung Schleswig-Holsteins gesehen werden. Seit 1870 wurden in dieser Region verstärkt große Industriebauten errichtet. Für diese Fabrikgebäude waren Ziegelsteine der geeignete und vorherrschende Baustoff. Auch der Ausbau der preußischen Verwaltung schlug sich in zahlreichen Hochbauten wie Schulen, Rathäuser, Gerichtsgebäude usw. nieder. Es bestand also eine anhaltende Nachfrage nach Ziegelsteinen. Es entwickelte sich zum Ende des 19. Jahrhunderts in der Seestermüher und Haseldorfer Marsch eine mittelständische Ziegelindustrie, die den tonhaltigen Marschboden als Rohstoff nutzte.

 

Die Gründung der Ziegelei

Trotz der schon erkennbaren Konkurrenz entschlossen sich die beiden Brüder Claus und Hermann Hell aus Kurzenmoor 1889 zur Gründung einer Ziegelei. Claus Hell war Landwirt und Viehzüchter, sein über 15 Jahre älterer Bruder Hermann war in seiner Jugend in die USA ausgewandert und 1878 wieder in die Heimat zurückgekehrt, wo er zwischen 1880 und 1886 zunächst eine Getreidemühle in Heide betrieb, dann zunächst nach Seestermühe und schließlich wieder nach Kurzenmoor zurückkehrte. Beide Brüder verstanden bis dahin nichts von der Ziegelherstellung, informierten sich jedoch bei anderen Betrieben gründlich über die Branche. Die Ziegelei wurde dann auf einem Claus Hell gehörenden Grundstück am Seesteraudeich errichtet und kostete ohne Grund und Boden 154.000 Mark. Den praktischen Betrieb übernahm Hermann Hell, tatkräftig unterstützt von dem Lippe'schen Ziegelmeister August Brackemeier. Claus Hell, der zwei Höfe bewirtschaftete, führte die Korrespondenz und die Bücher der Firma.

 

Der Rohstoff Ton

Als Rohstoff diente der Schwemmton der schweren Marschböden in der unmittelbaren Nachbarschaft der Ziegelei. Die Qualität des Rohstoffs war sehr gut, da der Ton einen niedrigen Salpetergehalt aufwies und nicht durch Moor- oder Torfbeimischungen versetzt war. Das Land zur Tongewinnung wurde von den Kurzenmoorer Landwirten gestellt und dann durchschnittlich einen halben Meter "abgeziegelt", d.h. abgegraben. Nach Elmshorn hin wurde der Boden zunehmend sandiger und ließ sich immer schwerer verwenden. 
Der Transport des Tons erfolgte mit Loren, die von Pferden gezogen wurden. Später ersetzte eine kleine Diesel-Lok die Zugkraft. Die Schienen der Lorenbahn waren nur lose verlegt und konnten je nach Bedarf verändert werden. Die Qualität des Tons forderte nur homogenisierende Maßnahmen wie Sumpf und Beschicker, bevor die Strangpressung der Tonmasse erfolgen konnte. Der Transport in die Trocknerei erfolgte per Hand mit Schubkarren, später auch mit Absetzungen und Elevator.

 

Der Anschluss an den Wasserweg

Nach 1953 veröffentlichten Aufzeichnungen Claus Hells gab es eine 200 Meter lange Lorenbahn von der Ziegelei durch die Stöpe im Deich zum Lösch- und Ladeplatz an der Krückau. Die Kohlen für den Brennofen wie auch zum großen Teil die fertig gebrannten Ziegel wurden auf dem Wasserweg transportiert. Diese direkte Lage an einem schiffbaren Fluss stellte für viele Ziegeleien einen unmittelbaren Wettbewerbsvorteil dar. Der billige Schiffsversand über Krückau und Elbe ermöglichte erst die überregionale Marktorientierung.

 

Die Ausrüstung der Ziegelei

Der Brennofen, "System Dannenberg", mit 16 Kammern war auf das Brennen von Klinkern zugeschnitten. 1910/11 wurde am Ofen ein größerer Umbau vorgenommen und dieser auf das System "Franke-Magdeburg" umgerüstet. Außerdem wurde der Ofen um 4 auf jetzt 20 Kammern verlängert. Das Trocknen der nassen Steine erfolgte in zwei großen, parallel zum Ofen stehenden, mit Pappe gedeckten Etagenschuppen, die seitlich mit Jalousien ausgerüstet waren und Trockenplatz für 370.000 "grüne" Steine boten. Eine Dampfmaschine des Bergdorfer Eisenwerks lieferte 30 PS. Den Dampfkessel baute die Carlshütte in Büdelsdorf. Die beiden Ziegelpressen von der Firma Richard Raupack in Görlitz hatten zusammen eine Tageskapazität von 50.000 Steinen. Normal war aber eine Tagesproduktion von 20.000 bis 25.000 Steinen.

 

Die Verwendung der Produkte

Verwendung fanden die Klinker aus Kurzenmoor in Wasserbauten aller Art wie Schleusen, Seelenlagen und Brücken, zum Beispiel beim Bau des Kaiser-Wilhelm-Kanals 1887-1895, aber auch in kommunalen und staatlichen Hochbauten, wie zum Beispiel zahlreichen Schulen. Ist etwa 1903 ging der Großteil der Klinkerproduktion in den Straßenbau, nachdem es gelungen war, einen Klinker mit großer Härte und Lebensdauer zu produzieren. Die Jahresproduktion der Hell'schen Ziegelei Betruf 1893 2 Mio. Steine. 1910 waren es schon 2,5 bis 3 Mio. Klinkersteine.

 

Die Betriebsgebäude

Die mit dem Schiff angelieferten Kohlen wurden mit von Pferden gezogenen Loren in den Kohleschuppen transportiert, dort etwa zwei Meter hochgezogen und von einem Mann umgekippt, so dass die Kohlen nicht aufgeschaukelt werden mussten. Außerdem gab es noch einen Stall für vier Pferde sowie Futtermittel. Für die Arbeiter stand eine Unterkunft mit einem Schlafsaal von 40 Plätzen und einer eigenen Kantinenküche zur Verfügung. Im selben Gebäude waren auch die Meisterwohnung und ein "Comptoir" untergebracht. Außerdem gab es noch einen Lokschuppen, mehrere Trockengebäude (Hand- und Absetzbetrieb) sowie den Sumpf mit einem Fassungsvermögen von 200 cbm. 
Ein interessantes Detail fand sich dabei bis zum Abriss der Gebäude 2010 auf der Unterseite des Daches eines der Trocknungsschuppen. Dort waren eine Reihe von Namen auf das helle Holz geschrieben. Es handelte sich dabei um die Namen derjenigen Arbeiter, die diesen Freilufttrockner und andere Gebäude nach einem Brand wieder aufgebaut haben.
Am 6. August 1899 wurde der größte Teil der Gebäude durch ein Feuer zerstört, das durch eine Explosion des abgedichteten Brennofens, in dem sich Gase gebildet hatten, ausgelöst worden war. Die Ziegelei wurde kurz darauf "in wesentlich stabilerem Maße" wieder aufgebaut.
Die Zufahrt zum Ziegeleigelände erfolgte von der heutigen Dorfstraße aus über den Ziegeleiweg, da der Seesteraudeich selbst bis weit ins 20. Jahrhundert hinein lediglich ein unbefestigter Weg war. Im Zuge der Verbreiterung und Verlegung der Wettern, die bis dahin parallel zum Deich zwischen Deich und Betriebsgelände verliefen, wurden diese Ende der 1950er Jahre nun in einem großen Bogen südlich um das Betriebsgelände herum geführt.

 

Die Ziegeleiarbeiter

Beschäftigt wurden um die Jahrhundertwende durchschnittlich 30 Arbeiter, die meist von April bis November angestellt waren und danach in ihre Heimat zurückkehrten. Der ausgeprägte Saisoncharakter der Arbeit in den Ziegeleien zwang nicht nur den Hilfsarbeitern sondern auch den Fachkräften, wie Brenner und Ziegelmeister, den Staus eines Wanderarbeiters auf. Im 19. Jahrhundert kam die größte Gruppe der wandernden Ziegler aus dem Fürstentum Lippe. Die Arbeitszeit betrug während des Sommers bis zu 15 Stunden täglich von morgens 4 Uhr bis abends 9 Uhr und einer zweistündigen Mittagspause. Diese überlangen Arbeitszeiten wurden aber schon vor dem 1. Weltkrieg deutlich verkürzt. Obwohl die meisten Arbeiten in der Ziegelei schon mechanisiert waren, galt die schmutzige Arbeit der Ziegler unter freiem Himmel oder in der Hitze des Brennofens als besonders schwer. Einheimische Arbeitskräfte waren deshalb für die Ziegeleien kaum zu bekommen. In Seesteraudeich arbeiteten Männer aus Hessen, Lippe, Posen und anderen Provinzen des Deutschen Reiches. Etliche Ziegeleiarbeiter blieben aber im Laufe der Zeit am Seesteraudeich oder in Seester, holten ihre Familien nach oder gründeten hier in der Gemeinde eine eigene Familie.

 

Die Ziegelei wird stillgelegt

Nach Beginn des 1. Weltkriegs wurden die Ziegeleiarbeiter zum Kriegsdienst einberufen oder wanderten in die Rüstungsindustrie ab. Ihr Ersatz durch bald eintreffende Kriegsgefangene war zu teuer. Die Einstufung der Ziegeleien als nicht kriegswichtige Industrie führte zur Kohlerationalisisrung und damit zu Energieengpässen. Die Ziegelei Kurzenmoor musste deshalb aus Personal- und Kohlemangel ab 1915 stillgelegt werden. 1918 stand die Ziegelindustrie in Schleswig-Holstein praktisch vor dem Neubeginn. Dieser Neubeginn wurde durch die Weltwirtschaftskrise 1930/31 stark erschwert, so dass weitere Ziegeleien ihren Betrieb einstellten.

 

Der Verkauf der Ziegelei

Max Hell, als ältester Sohn von Claus Hell 1910 in den Betrieb eingestiegen, fiel im 1. Weltkrieg, so dass sein Vater 1919 den Entschluss fasste, die schon wieder in Betrieb befindliche Ziegelei zu verkaufen. Für 220.000 Mark wurde der gesamte Betrieb einschließlich Inventar und den zugehörigen Grundstücken an eine neugegründete Aktiengesellschaft mit dem Neuendorf Landwirt und Viehhändler Johannes Sternberg als Mehrheitsaktionär und Geschäftsführer veräussert. Unter dem neuen Firmennamen "Klinkerwerke Kurzenmoor AG" wurde der Betrieb der Ziegelei noch 1919 wieder aufgenommen. 1927 wurde die AG nach dem Konkurs des "Sternberg'schen Schweineimperiums" aufgelöst und an den Ziegeleibesitzer Heinrich Pollmann aus Glückstadt verkauft, der dort das "Ziegelwerk Blomesche Wildnis" betrieb. Als dessen Sohn Heinrich Pollmann jun. nach dem 2. Weltkrieg in die Firma eintrat, wurde diese in "Klinkerwerke Kurzenmoor Heinrich Pollmann jun. KG" umbenannt.

 

Die Ziegelei im 2. Weltkrieg

Das Produktionsprogramm der Ziegelei blieb auch nach dem zweiten Besitzerwechsel auf die Klinkerherstellung ausgerichtet. Während des 2. Weltkriegs wurden auch in der Pollmannschen Ziegelei, wie überall in der Deutschen Wirtschaft, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene eingesetzt, um die zum Kriegsdienst einberufenen einheimischen Arbeiter zu ersetzen. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen dieser in der NS-Sprachregelung "Fremdarbeiter" genannten Arbeitskräfte waren weitaus schlechter als die ohnehin schon ungünstigen Bedingungen für die Ziegelarbeiter.

 

Der Aufschwung in der Nachkriegszeit

Nach 1945 war der Absatz der verbliebenen Ziegeleien durch die Beseitigung der Bombenschäden in den Städten über einen längeren Zeitraum gesichert. Die Wiederaufnahme des Brennbetriebs wurde zunächst durch die Kohlerationalisisrung erschwert. Die anhaltend gute Konjunktur auf dem Bausektor während der 1950er Jahre brachte den Ziegeleien über einen längeren Zeitraum eine gute Auslastung ihrer Produktionskapazitäten. 1956 erhielt die Kurzenmoorer Ziegelei einen neuen Schornstein. Dies war aber auch die letzte größere Investition der Firma Pollmann. Die mangelhafte Kapitaldecke der Ziegeleibetriebe verhinderte in den meisten Betrieben die notwendige Rationalisierung der Produktion. Die war aber mit der vorhandenen Ringofentechnik nur zum Teil möglich. Die Einführung der Tunnelofentechnik erforderte so hohe Investitionssummen, dass diese von den mittelständischen Betrieben meist nicht aufgebracht werden konnten und sich die Produktivität durch Arbeitszeitverkürzungen und andere soziale Verbesserungen noch weiter verschlechterte. In den 60er Jahren arbeiteten auf der Ziegelei in Kurzenmoor noch 18 Beschäftigte, die maximal 4 Millionen Steine im Jahr produzierten. Pro Tag konnten 16.000 Steine hergestellt werden.

 

Das Ende der Klinkerwerke Kurzenmoor

Die vergleichsweise schlechten Arbeitsbedingungen in den Ziegeleien führten während der Hochkonjunktur in den 60er Jahren trotz der Beschäftigung von ausländischen "Gastarbeitern" zu einem anhaltenden Arbeitskräftemangel, so dass viele schleswig-holsteinische Ziegeleien, so 1971 auch die Klinkerwerke Kurzenmoor, schließen mussten.
Zusammen mit der Leiter Ziegelei in Klein Nordende stellte die Ruine am Seesteraudeich bis ins Jahr 2010 die letzte Erinnerung an die ehemals 22 Ziegeleien im Kreis Pinneberg um die Jahrhundertwende dar. Nach fast 40 Jahren Verfall musste die Ruine der Klinkerwerke Kurzenmoor schließlich auf behördliche Anordnung hin abgerissen werden, da die Gebäude und vor allem der sich bereits stark neigende, hohe Schonstein ein hohes Risiko vor allem für neugierige Kinder darstellten, die das Gelände trotz Absicherung gerne als Abenteuerspielplatz nutzten.

 

Quelle:
P. Danker-Carstensen: Gemeinde Seester - Geschichte eines Dorfes in der Elbmarsch und ein Beitrag zur Geschichte des Kirchspiels Seester, 1993. Restexemplare der rund 300-seitigen Dorfchronik sind bei der Gemeinde Seester käuflich zu erwerben.

 


Standort: 

Seesteraudeich 11-25, 25370 Seester
Zugang zum ehemaligen Ziegeleigelände
Google-Karte


 

Postkarte Alte Ziegelei Seester
Alte Ziegelei in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts
Ziegelearbeiter
Mit Hilfe von Loren konnte der Krückauhafen über den Deich erreicht werden
Aufnahme am Seesteraudeich nach 1958. Im Hintergrund die Ziegelei mit rauchendem Schornstein
Abbau des Schwemmtons mit Hilfe von Pferden gezogener Loren
Be- und Entladen von Schiffen im Ziegelei-Hafen
Belegschaft der Klinkerwerke 1926
Luftbildaufnahme aus dem Jahr 2000 mit der Ziegelei im Vordergrund
Ziegelei-Ruine vor ihrem Abriss 2010
Ziegelei-Ruine 2008 (Quelle: HuHu Uet, wikipedia.de)
Ziegelei-Ruine 2008 (Quelle: HuHu Uet, wikipedia.de)
Ziegelei-Ruine während des Abrisses im September 2010
Ziegelei-Ruine während des Abrisses im September 2010
Ziegelei-Ruine
Ziegelei-Ruine während des Abrisses im September 2010